Perfektionismus-Ursache und Entstehung

Warum müssen wir perfekt sein?

Man könnte den Perfektionisten bildlich als gehetztes Tier darstellen. Eigentlich schon erschöpft oder am Ende seiner Kräfte rennt er weiter, als ginge es um sein Leben.

Und tatsächlich ist es so, es geht um sein Leben. Zwar nicht um sein körperliches, aber um sein emotionales Überleben.

Das Verhaltensmuster des Perfektionismus wird schon sehr früh geprägt.

Oft sind es, heute erwachsene, Kinder aus Familien, in denen Liebe oder Aufmerksamkeit nur in Verbindung mit Leistung entgegengebracht wurde. War die Leistung oder das Verhalten nicht den Erwartungen der Eltern entsprechend, gab es entweder Strafe oder Liebes/Aufmerksamkeitsentzug. Der Entzug von Aufmerksamkeit mag Ihnen heute banal vorkommen, als Kind war die Aufmerksamkeit der Eltern für Sie überlebenswichtig.

Die Tendenz zum Perfektionismus entsteht aber auch in Kindern, die in chaotischen Familienverhältnissen aufwuchsen. Wenn die Eltern Alkoholiker oder drogenabhängig waren, wenn die Versorgung der Kinder nicht verlässlich gewährleistet war. Diese Kinder müssen sehr früh „erwachsen“ werden, viel zu früh selbst für Struktur sorgen. Später kann daraus „zu viel Struktur“ – Perfektionismus werden.

In anderen Fällen ist es gar nicht einfach, die Ursache zu erforschen. Die Familie schien geordnet, die Kinder versorgt und trotzdem herrschte Chaos. Emotionales Chaos. Vielleicht dominierte ein Elternteil den anderen oder ein Elternteil ging fremd. Die Meinung, dass Kinder das nicht bemerken, wenn nicht darüber gesprochen wird, ist ein Ammenmärchen. Selbst jüngste Kinder spüren, dass hier etwas nicht stimmt. Sie können es verbal nicht formulieren oder differenziert überdenken. Aber Kinder sind sehr im Körper und erfühlen solche Dissonanzen. Erspüren Lügen, Ungereimtheiten und Unwahrheiten. Und sie sehen sehr deutlich, wenn ein Elternteil leidet.

Unbewusst müssen sie „Ordnung und Richtigkeit“ in sich schaffen. Die kindliche Überlebensstrategie kann im erwachsenen Kind die Überordnung – Perfektionsimus erschaffen.

    Egal, welcher dieser Auslöser in Ihnen wirkt:

Sie können Ihr Perfektionismusstreben als kindliche Bewältigungsstrategie aus der Vergangenheit erkennen.

                          Ihre Kindheit ist vorbei.

Warum auch immer Ihre Eltern nicht in der Lage waren, Sie als Kind so anzunehmen wie sie waren, es könnte sein, dass es mit Ihnen nichts zu tun hatte. Die Probleme der früheren Generation, eigene schädliche Kindheitsprägungen, Eheprobleme, Traumatisierungen und überholte Erziehungsmethoden könnten die Ursache sein, dass Ihre Eltern Sie nicht so annehmen konnten, wie Sie waren.

Väter sehen ihre Söhne oft als feige, mutlos und schwach. Alles, was sie selbst in sich spüren. Das sind tiefgreifende, unerlöste Konflikte, die da über das Kind ausagiert werden. Der vom Vater nicht akzeptierte Sohn neigt zum Perfektionismus, in der Hoffnung irgendwann doch akzeptiert zu werden. Wir neigen zur Wiederholungstäterschaft.

Mütter befinden ihre Töchter als zu vorlaut, unangepasst und schamlos. Alles, was sie selbst gerne gewesen wären und es nie gewagt haben. Es versetzt mich immer wieder aufs Neue ins Staunen, zu sehen, dass die Jahre nichts daran geändert haben, dass ein Mädchen „gut, adrett und lieb“ zu sein hat. Diese Erziehung hilft keinem Mädchen, das heute die Rolle der modernen Frau mit Beruf und Familie erfüllen muss.

Für die Kinder aus verwahrlosten Familien gilt es zu erkennen, dass sie die Eltern und ihre Verhältnisse als Kind nicht verändern konnten. Dass es nicht ihre Schuld war, dass die Eltern zu Alkohol und Drogen gegriffen haben. Diese Entscheidung haben erwachsene Menschen getroffen. Erkennen Sie, dass Sie Ihre früheren Lebensverhältnisse nicht mehr ändern können, Sie können jedoch heute den Grad der Struktur Ihrer Lebensführung verändern. Die Gegenwart bietet Ihnen die Chance dafür.

Das emotionale Chaos löst ein übersteigertes Bedürfnis nach Wahrheit und Gerechtigkeit aus. Alles muss 100% stimmen, wahr und gerecht sein. Das klingt zunächst nicht schlecht. Doch ist die Wirklichkeit anders. Die Welt ist nicht zu 100 Prozent wahr und schon gar nicht gerecht. Sie kämpfen wie Don Quichote gegen Windmühlen. Es ist nicht leicht, aber damit müssen wir umgehen lernen. Eine Sache zu akzeptieren heißt nicht, sie für „gut“ zu befinden.

Kindliche Strategien durch erwachsene Strategien ersetzen

Perfektionisten haben als Kind sehr viel dafür geleistet, geliebt, gemocht, akzeptiert, gesehen, gehört, versorgt oder anders beachtet zu werden. Und sind gescheitert.

Vielleicht kennen Sie das Lied von Leonard Cohen: Suzanne

…there are children in the morning, they are leaning out for love, and they will lean that way forever, while Suzanne holds the mirror…

Der Vers besagt nichts anderes, als dass alle Kinder nach Liebe suchen und sie werden für immer suchen.

Nehmen Sie das in Ihr Bewusstsein, wenn Sie wieder hetzen, sich abmühen, die Sache mehr als perfekt erledigen wollen, das Arbeitspensum von anderen mit übernehmen, in tiefe Selbstzweifel fallen, wenn Sie das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein oder Ihre Sache nicht perfekt genug abgearbeitet haben.

Genau in diesem Moment suchen Sie nach der Liebe und Anerkennung, die Ihnen als Kind vorenthalten wurde. 

Die Liebe und Aufmerksamkeit, die uns als Kind nicht zuteil wurde, kann im Erwachsenenalter nicht nachgeholt werden. Sie können jedoch die Suche beenden, indem Sie Mitgefühl mit sich selbst entwickeln. Einen weniger strengen, strafenden Umgang mit sich pflegen. Seien Sie freundlich und milde mit sich selbst.

Vielleicht hilft es Ihnen, sich vorstellen, wie sie waren, damals als Kind, unerfahren und unschuldig und ganz sicher liebenswert. Ein Foto von Ihnen aus Kindertagen, versuchen Sie Mitgefühl mit diesem Kind zu empfinden-das heute noch in Ihnen lebt, es ist ein Teil Ihrer Persönlichkeit.