Gerechtigkeitssinn-Licht und Schatten

Gerechtigkeit

ist ein großes Wort, so groß, es könnte einen fast erschlagen.

Der gerechte Mensch ist edelmütig, gut, hoch moralisch, mutig und ehrbar. Wir denken dabei an Helden wie Robin Hood, Che Guevara, Nelson Mandela und Jeanne D´Arc. Die Helden aus der Geschichte, aus Mythen und Legenden. Es werden Kränze niedergelegt an den Gedenkstätten derer, die für die Gerechtigkeit gekämpft haben. Über die Helden wurden und werden Bücher geschrieben und Lieder gesungen. Das ist beeindruckend! Das ist die glänzende Seite der Gerechtigkeit. Aber wie jedes Ding hat auch sie zwei Seiten.

Das Wort Gerechtigkeit ist immer irgendwie mit Kampf verbunden.

Gerechtigkeit braucht Recht, Gesetz und Regeln. Sie assoziert auch Enge und Härte und verlangt nach Struktur. Sie können mal selbst versuchen, sprechen Sie das Wort „Gerechtigkeit“ drei Mal laut aus und lauschen Sie in Kopf und Körper. Was kommt?

Wenn Sie mal Ihr Leben anschauen, beruflich, familiär, im Freundeskreis, in der Gesellschaft, als Staatsbürger, Autofahrer, was engt Sie ein? Sind es nicht unsere unüberschaubaren Regeln, Gesetze, Verhaltensmaßregeln, Erwartungen von außen und die Enge unserer gesellschaftlichen Struktur?

Selbst habe ich größtes Verständnis für Menschen mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn, da ich ihn auch besitze. Vor zehn Jahren habe ich erschöpft festgestellt, wenn ich so weiter mache, bin ich in absehbarer Zeit ein physisches und psychischen Wrack.

Auch in der Arbeit mit Klienten stelle ich fest, dass der ausgeprägt gerechte Mensch an einem Punkt seines Lebens ausbrennt. Was leicht nachvollziehbar ist. Er möchte, dass jeder das gleiche Maß an Gerechtigkeit in seinem Leben walten lässt und das realisiert sich nicht. Vielleicht erringt er den ein oder anderen Sieg. Doch in der Gänze ist er zum Scheitern verurteilt.

Der Kampf für die Gerechtigkeit kostet immens viel Kraft und Energie. Seine Vorgaben sind der Welt egal, die Welt tut, was sie will. Das ist die Realität. Und der Gerechte frustriert und landet im schlimmsten Fall in der Resignation, die sich als depressive Verstimmung äußert.

Der Gedanke „es darf nicht so sein!“ ist der Killer des inneren Friedens.

Für seine Mitmenschen ist der stets gerechte Mensch schwierig. Er wirkt wie eine Wehrburg auf einem Fels. Schwer zu erreichen, fast unnahbar. Die Menschen fürchten, sie werden ihm nicht g e r e c h t.

Dies soll kein Plädoyer gegen Gerechtigkeit sein!

Behalten Sie Ihren Sinn für Gerechtigkeit, Sie könnten ihm nur eine andere Wichtigkeit, einen neuen Platz zuweisen. Z.B. vom ersten auf den zweiten oder dritten Platz verschieben.

Ihr Leben könnte sich grundsätzlich wandeln, wenn Sie Menschlichkeit über Gerechtigkeit stellen. Sprechen Sie doch mal „Menschlichkeit“ aus. Es fühlt sich viel weniger aggressiv und hart an, stimmt´s?! Und ganz wichtig: Es hebt uns aus der Bewertung von „richtig-falsch“, „gut-schlecht“, „gerecht-ungerecht“.

Gelebte Menschlichkeit fühlt sich ruhiger, wärmer, erfüllender und freudiger an. Und es ist weniger anstrengend und ermüdend.

Menschlichkeit kann sich verschieden ausdrücken. Ich selbst lache gerne und schaffe mir Situationen, in den ich mit anderen lachen kann. Auch in Therapiesitzungen. Lachen schlägt Brücken, nimmt einer Traurigkeit die Tiefe und der Sorge die Schwere.

Freundlichkeit und Zuhören ist menschlich. Eine noble Geste unserer Zeit wäre, andere zu motivieren, etwas zu tun, das sie gut können.

Für alle Eltern, Erzieher, Lehrkräfte, Vorgesetzte, Ausbilder und Manager etc:

Motivation ist nicht, zu sagen, was falsch gemacht wurde und beim nächsten Mal anders gemacht werden muss!

Motivation heißt, hervorzuheben, was gut und richtig war. Motivation heißt, das Positive zu bestärken!

Verkneifen Sie sich, Ihre Menschlichkeit zu einer ehernen Struktur zu machen. Seien dort menschlich, wo Sie es sein können, wo es sich richtig anfühlt. Dort, wo Sie sich verbiegen müssten, lassen Sie es sein. Die neuen Energien unterstützen Sie in den Momenten, in denen Sie authentisch sind.

Vorsicht! Menschliche Präsenz macht nahbar.