Der Angst verpflichtet?

Manche Menschen sprechen von Ihren Ängsten als „lieb gewonnene Gewohnheit“. Dabei lächeln sie und zucken arglos mit den Schultern. Man könnte den Eindruck gewinnen, sie sprächen über einen Nachbarn und dessen kleinen Hund. Der zwar oft bellt, aber nicht beißt und dessen Trippeln im Hausflur verhallt.

Die Angst wird personifiziert. Wie ein unsichtbarer Begleiter, der nicht von der Seite weicht. Hier entsteht eine gedankliche Verzerrung.

Jemand, der mich ständig begleitet, ist mir vertraut.

Öffnen wir doch das Kästchen der Gewohnheit und sehen, was sich darin befindet außer der Anpassung an einen schlechten Zustand:

Durch das Gefühl der Vertrautheit und Gewohnheit führt es den Menschen in positive Assoziationen der Angst gegenüber. Diese laufen in vielen Fällen unbewusst ab.

  • „Die Angst ist mein treuester Begleiter. Andere haben mich verlassen, die Angst ist geblieben.“ Treu dem Vertrauten
  • „Die Angst beschützt mich vor riskanten Aktionen.“  Schutz
  • „Wenn ich mich vor etwas fürchte und es tritt dann ein, bin ich vorbereitet.“  Sicherheit
  • „Ich habe die Angst von meiner Mutter gelernt, wenn ich die Angst aufgebe, bin ich nicht mehr das liebende/loyale Kind.“ Loyalität
  • „In der Angst kenne ich mich gut aus, würde ich sie loslassen, müsste ich Neuland betreten, das ist mir zu gefährlich.“ Sicherheit im Vertrauten

Daraus ergibt sich die treue, vertraute, schützende, loyale Angst die Sicherheit gibt.

Diese Überzeugungen, die sich über die Zeit eingeschlichen haben, entsprechen nicht der Realität. Ob bewusst oder unbewusst angewandt, wirken sie als Widerstände, die einer Auflösung der Ängste entgegenstehen.

Machen wir doch mal den Realitäts-Check:

  • Treue ist eine edle menschliche Eigenschaft. Dem Partner/in treu zu sein, einem Freund/in treu zu Seite zu stehen oder das treue Mitglied eines Vereins zu sein, ist eine soziale Kompetenz. Sie können auch mit Ihrem Haustier treu verbunden sein und nicht zuletzt sich selbst, Ihren Werten und Bedürfnissen treu sein. All das steht direkt mit Ihrem Leben und dem Leben als Mensch in Verbindung. Der Angst treu zu sein, hat keinen sozialen Aspekt, sie bereichert Ihr Leben nicht, sie schränkt es massiv ein.
  • Wie genau kann die Angst Sie beschützen? Ist das wirklich möglich? Oder ist es nicht so, dass Ängste Sie in Ihrer Lebensführung schwer beeinträchtigen? Wie viele Unternehmungen sind Ihnen entgangen, wie viele Herausforderungen haben Sie nie gewagt? Wie viele Wege privat und beruflich trauten Sie sich nicht zu beschreiten?
  • Wenn Sie sich in jeder Lebenslage gedanklich auf das Schlimmste einstellen, sind Sie wohl auf Katastrophen „geeicht“. Wenn sie denn eintreten. In der Zwischenzeit könnten Sie auch heiter darinleben, wenn Sie nicht stets die schrecklichen Gedanken im Kopf hätten. Die Wahrheit ist, dass Sie sich auch die besten Tage mit dieser Methode ruinieren. Frage: Wie viele der Katastrophen, die Sie prophezeit haben, sind bislang eingetreten?
  • Eine Grundannahme der Kognitiven Verhaltenstherapie ist, dass wir dank der Neuroplastizität unseres Gehirns jederzeit umlernen können. Weiter ist es nicht unsere Aufgabe, die Fehler und Einschränkungen unserer Eltern zu wiederholen und sie mit unserem Ausdruck im Hier und Jetzt zu manifestieren. Falsch verstandene Loyalität. Auf diesen Aspekt werde ich im nächsten Blogeintrag genauer eingehen.
  • Wenn Sie den Angstplaneten verlassen, müssen Sie zunächst Neuland betreten, das ist wohl wahr. Aber alles, was neu ist, wird zu einem anderen Zeitpunkt alt und bekannt. Sie könnten beginnen zu lernen sich selbst und Ihrer Umgebung zu vertrauen, statt Ihr Vertrauen der  Bestie in den Rachen zu werfen. Das Neuland, das Sie Schritt für Schritt erkunden würden, ist schön und lebenswert.

Die aufgezählten Inhalte beschreiben weitaus mehr, als eine Gewohnheit. Das Adjektiv „lieb“ will hier mitnichten passen. Forschen Sie in sich, ob eine oder mehrere dieser dysfunktionalen Überzeugungen in Ihnen zugange sind und prüfen Sie deren Wahrheitsgehalt. Es geht um Ihren achtsamen Umgang mit Ihren ganz persönlichen Themen…und um Ihre Lebensqualität.

2 Antworten

  1. Herzensdank für diesen Beitrag.. Vor allem der Hinweis auf die falsche Loyalität hat mir einige Lichter aufgehen lassen.

    1. Hallo Heidrun, die Zeit ist reif für Erkenntnisse! Nimm das Licht, das Dir aufging wie ein Geschenk. Alles Gute für Dich und LG Bettina

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